„Ich bin nicht gut genug.“ Dieser Gedanke begleitet viele Medizinerinnen und Mediziner – auch wenn kaum jemand darüber spricht. Die Anforderungen im Arztberuf sind hoch, der Druck konstant und Fehler können schwere Folgen haben. Gleichzeitig prägt ein Idealbild vom unfehlbaren, belastbaren Menschen in Weiß die berufliche Identität. Wer diesem Bild nicht entspricht, zumindest in der Selbstbetrachtung, zweifelt schnell an sich selbst.
Selbstzweifel in der Medizin sind kein Zeichen von Schwäche. Sie zeigen Verantwortungsbewusstsein, Selbstreflexion – und manchmal auch, dass sich etwas im Berufsleben ändern sollte. Dieser Beitrag beleuchtet mögliche Ursachen, zeigt praxisnahe Strategien auf und betrachtet mögliche berufliche Alternativen für Ärztinnen und Ärzte, etwa im Sozialmedizinischen Dienst oder in Reha-Einrichtungen, beispielsweise Rehabilitationskliniken.
Ursachen: Warum Ärztinnen und Ärzte mit Selbstzweifeln kämpfen
Selbstzweifel entstehen selten grundlos. Sie sind häufig eine Reaktion auf strukturelle Belastungen, emotionale Überforderung oder hohe eigene Ansprüche. Dabei können sich die Auslöser je nach Karrierephase unterscheiden.
In der späteren Berufslaufbahn
Auch erfahrene Ärztinnen und Ärzte sind nicht vor Selbstzweifeln gefeit. Wenn Routine einkehrt, der Sinn verloren geht oder die Arbeitsbelastung chronisch wird, kann das Gefühl entstehen, im falschen System zu arbeiten. Fragen wie „Kann ich so weitermachen?“ oder „War das wirklich mein Berufsziel?“ sind typisch – und ernst zu nehmen. Verfestigen sich solche Fragen, sollte man auch einen Jobwechsel als erfahrener Arzt nicht von ausschließen.
Selbstzweifel als Arzt oder Ärztin: Was hilft im Umgang?
Selbstzweifel lassen sich nicht einfach abschalten. Aber es gibt Wege, sie zu verstehen und zu bewältigen.
Selbstreflexion statt Selbstkritik
Zweifel können ein Hinweis auf unrealistische Erwartungen sein – von sich selbst oder vom beruflichen Umfeld. Es lohnt sich, die inneren Treiber dieser Erwartungen bewusst zu reflektieren. Was genau löst meine Zweifel aus: fachliche Unsicherheit, Zeitdruck oder menschliche Konflikte? Und wessen Erwartungen will ich erfüllen: meine eigenen oder die meiner Vorgesetzten.
Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen
Viele Ärztinnen und Ärzte denken, mit ihren Gefühlen allein zu sein. Doch wer sich öffnet erfährt oft: Auch andere kennen diese Unsicherheit. Der Austausch kann entlasten, normalisieren und neue Perspektiven eröffnen.
Professionelle Begleitung in Anspruch nehmen
Ein Coaching, eine Supervision oder, wenn es angezeigt scheint, auch eine Gesprächstherapie können helfen, Muster zu erkennen, Prioritäten zu klären und Wege aus der Dauerüberforderung zu finden, bevor es zu gesundheitlichen Folgen kommt. Denken Sie an das ärztliche Gelöbnis des Weltärztebundes, das Selbstfürsorge als Teil der ärztlichen Verantwortung begreift: „Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf hohem Niveau leisten zu können.
Strukturelle Veränderungen zulassen
Manchmal ist es nicht das „Ich“, das falsch ist – sondern das berufliche Umfeld. Wer dauerhaft unzufrieden ist oder spürt, dass sich trotz Reflexion nichts verändert, sollte über einen Wechsel nachdenken. Es gibt in der Medizin viele berufliche Wege jenseits der klassischen Krankenhauslaufbahn.
Neue Wege in der Medizin: Sozialmedizinischer Dienst und Rehakliniken als berufliche Perspektiven
Für Ärztinnen und Ärzte, die ihre Selbstzweifel und berufliche Unzufriedenheit auf Faktoren in ihrer Arbeitsumgebung zurückführen, die sie selbst nicht beeinflussen können, lohnt sich das Nachdenken über eine berufliche Veränderung. So kann etwa bei chronischem Zeitdruck, emotionaler Erschöpfung oder dem Leiden unter strukturellen Zwängen ein Wechsel in die Sozialmedizin oder in eine Reha-Einrichtung eine sinnvolle Option sein. Diese Bereiche bieten nicht nur die Möglichkeit, weiterhin medizinisch verantwortungsvoll zu arbeiten, sondern zugleich eine bessere Work-Life-Balance.
Sozialmedizinischer Dienst: Strukturierte Arbeit mit gesellschaftlichem Mehrwert
Im Sozialmedizinischen Dienst der Deutschen Rentenversicherung übernehmen Ärztinnen und Ärzte vor allem gutachterliche Beurteilungen und verfassen Stellungnahmen in Rentenverfahren oder bezüglich Leistungen zur Teilhabe. Diese Aufgaben ermöglichen eine eigenverantwortliche Arbeit mit planbaren Tagesabläufen und ohne Nacht- oder Wochenenddienste. Zudem besteht die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten und sich fachlich weiterzuentwickeln.
Rehakliniken: Ganzheitliche Patientenbetreuung in interdisziplinären Teams
In Rehakliniken steht die langfristige und ganzheitliche Betreuung der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden im Mittelpunkt. Ärztinnen und Ärzte haben hier die Möglichkeit, individuelle Therapiepläne zu entwickeln und umzusetzen – im engen Austausch mit Physio- und Ergotherapeuten, Psychologinnen und Pflegekräften. Die Arbeitszeiten sind in der Regel planbar, was eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ermöglicht. Rehakliniken bieten darüber hinaus ein stabiles Arbeitsumfeld und Weiterbildungsmöglichkeiten.
Ein Wechsel in den Sozialmedizinischen Dienst oder in eine Reha-Einrichtung kann also nicht nur zur Verbesserung der eigenen Lebensqualität beitragen, sondern auch neue berufliche Perspektiven eröffnen – ohne die eigene Karriere als Arzt oder Ärztin aufzugeben.
Fazit: Selbstzweifel ernst nehmen und neu denken
Selbstzweifel gehören zum Beruf. Sie zeigen, dass sich Ärztinnen und Ärzte ihrer Verantwortung bewusst sind. Doch wenn Zweifel zur Dauerbelastung werden oder die Freude an der Medizin verdrängen, lohnt es sich, innezuhalten.
Es gibt Wege, mit Selbstzweifeln umzugehen – durch Selbstreflexion, durch Gespräche und, wenn nötig, durch Veränderung. Wer den Mut hat, neue Wege zu denken, entdeckt oft: Der richtige Ort in der Medizin ist nicht immer der, an dem man angefangen hat
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